
Der digitale Euro als Ergänzung zum Bargeld – die Banken stehen vor einer neuen Epoche
Mit der Einführung des Euro im Jahr 2002 hat wohl noch niemand an die Tokenisierung und die damit verbundene Transformation von der Übertragung von Informationen hin zur Übertragung von Werten gedacht. Mit dem Aufkommen von Krypto-Technologien hat sich die Entwicklung in diesem Bereich stark verändert. Neben Wertpapieren sind zunehmend auch Währungen in den Fokus der Tokenisierung gerückt. Was das für Banken und ihre Kunden bedeutet, soll in diesem Artikel dargestellt werden.
Dieser Beitrag bildet den Auftakt einer Serie zum Thema digitaler Euro. Der Inhalt konzentriert sich auf eine erste Einordnung und bietet eine kurze Replik auf relevante Aspekte des Geldsystems, die sich aus den gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen ergeben. Am Ende wird der Nutzen der relevanten Akteure (Banken, Händler und Privatpersonen) beschrieben.
Die Digitalisierung des Geldes – Replik auf den Wandel
Die Einführung eines Retail-CBDC (Central Bank Digital Currency) wie dem digitalen Euro wird von mehreren ökonomischen, technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen getrieben. Seit dem Jahr 2023 arbeitet die Europäische Zentralbank (EZB) an der Konzeption zur Digitalisierung des Euro. Im Vorfeld wurden bereits Analysen mit Marktteilnehmern durchgeführt, wie ein digitaler Euro gestaltet sein müsste, um die funktionalen und nicht-funktionalen Anforderungen grundsätzlich zu erfüllen. Die Hintergründe für die Einführung des „digitalen Bargelds“ sind folgende Aspekte[1]:
- Sicherstellung der staatlichen Geldhoheit:
Der digitale Euro dient als staatlich regulierte Alternative zu privaten Kryptowährungen wie Bitcoin und Stablecoins großer Technologiekonzerne. Ziel ist es, die geldpolitische Souveränität des Euro im digitalen Zeitalter zu sichern und der Verbreitung nicht-staatlicher Zahlungsmittel entgegenzuwirken.
- Rückgang der Bargeldnutzung
Mit dem fortschreitenden Rückgang der Bargeldnutzung – insbesondere bei jüngeren Generationen – verliert physisches Bargeld zunehmend an Bedeutung. Der digitale Euro soll diese Entwicklung auffangen, indem er als digitale Ergänzung zum Bargeld einen staatlich garantierten, sicheren und für alle zugänglichen Zahlungsweg bietet.[2]
- Förderung europäischer Unabhängigkeit
Der digitale Euro stärkt die strategische Unabhängigkeit des europäischen Bankensystems, indem er eine eigene, europaweit einheitliche Infrastruktur für digitale Zahlungen schafft. So wird die Abhängigkeit von außereuropäischen Technologiekonzernen reduziert und gleichzeitig die Rolle des Euro als stabile, international anerkannte Währung gefestigt.
- Finanzielle Inklusion
Der digitale Euro soll allen Bürgerinnen und Bürgern den einfachen Zugang zu digitalen Zahlungsmitteln ermöglichen – unabhängig davon, ob sie ein Bankkonto oder eine Kreditkarte besitzen. Gerade in ländlichen oder strukturschwachen Regionen schafft er so neue Teilhabechancen und stärkt die finanzielle Inklusion.
- Effizienz und Innovationsförderung
Für Banken eröffnet der digitale Euro die Möglichkeit, Transaktionskosten signifikant zu senken und gleichzeitig Echtzeit-Überweisungen zwischen Privatpersonen, Unternehmen und Behörden zu erleichtern. Dies trägt nicht nur zur Effizienzsteigerung bei, sondern fördert auch die zukunftsfähige Digitalisierung des gesamten Finanzsektors, indem es Banken ermöglicht, innovative und kundenorientierte Finanzlösungen anzubieten.
- Datenschutz und Grundrechte
Im Gegensatz zu privaten Zahlungsanbietern bietet der digitale Euro ein höheres Maß an Sicherheit und Datenschutz, indem er klare Regelungen und Transparenz gewährleistet. Während vollständige Anonymität nicht vorgesehen ist, stellt der digitale Euro sicher, dass die Verarbeitung von Zahlungen unter strengen datenschutzrechtlichen Standards erfolgt und so das Vertrauen der Nutzer in die Sicherheit des Systems gestärkt wird.
Langfristig sollen alle Bereiche des Geldsystems digitalisiert werden. Für die Verbindlichkeiten gegenüber der Zentralbank sind derzeit ein Wholesale-CBDC (Einlagen bei der Zentralbank) und ein Retail-CBDC als Ergänzung zum Bargeld vorgesehen. Im Giralgeldsystem der Geschäftsbanken ist die Tokenisierung von Bankeinlagen geplant. Zusätzlich sind – unter den Vorgaben der Markets in Crypto-Assets Regulation (MiCAR) – virtuelle Guthaben in Form von Stablecoins bestimmt, siehe Abbildung 1.

Im Gegensatz zu sogenannten Wholesale-CBDCs, die als digitales Zentralbankgeld ausschließlich für Finanzinstitute zur Abwicklung großvolumiger Interbankentransaktionen dienen, richtet sich der digitale Euro an Privatpersonen und Unternehmen. Er stellt somit eine Form von Zentralbankgeld dar, die nicht nur in bar, sondern auch in digitaler Form verfügbar ist. Während Giralgeld in Form von Einlagen bei Geschäftsbanken den Zahlungsverkehr für Unternehmen und Privatpersonen ermöglicht, stellt der digitale Euro eine direkte digitale Variante des Zentralbankgeldes dar, die als gesetzliches Zahlungsmittel fungiert und somit auch den Zugang zu sicherem Geld in der digitalen Wirtschaft gewährleistet.
Der Fokus des Retail-CBDCs ist die Ergänzung zum heutigen Bargeld. Damit sind Banken zukünftig in der Rolle des Dienstleisters verstärkt gefragt, um die Plattformen und Apps mit Mehrwertdiensten zu etablieren. In der Abbildung 2 sind die angerissenen Unterschiede auf die jeweiligen Token-basierte Geldform beschrieben.

Was sind die Treiber für den Einsatz des digitalen Euros?
Im Unterschied zu bestehenden digitalen Zahlungsmitteln verspricht der digitale Euro mehrere strukturelle Vorteile, die insbesondere auf die Sicherheit, Verfügbarkeit und Unabhängigkeit des Zahlungsverkehrs abzielen.
1. Kein Kreditrisiko – digitales Zentralbankgeld ohne Ausfallgefahr
Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem digitalen Euro und heutigen Bankeinlagen liegt im Kreditrisiko. Bankeinlagen sind rechtlich gesehen Forderungen gegenüber einer Geschäftsbank. Im Fall einer Bankeninsolvenz sind diese Einlagen potenziell gefährdet, auch wenn Einlagensicherungssysteme wie die gesetzliche Einlagensicherung (bis 100.000 € pro Kunde) bestehen.
Der digitale Euro hingegen wäre direkt von der Zentralbank gedeckt, was bedeutet: Es handelt sich um echtes, risikofreies Zentralbankgeld. Dadurch bietet der digitale Euro ein neues Maß an Sicherheit für Privatpersonen und Unternehmen, unabhängig von der Stabilität einzelner Geschäftsbanken.
2. Unabhängigkeit von privaten (insb. US-dominierten) Zahlungsanbietern
Der europäische Zahlungsverkehr ist heute stark von nicht-europäischen Infrastrukturen abhängig – insbesondere von Kartennetzwerken wie Visa, Mastercard oder großen Technologiekonzernen (Apple, Google). Diese Abhängigkeit wirft geopolitische, datenschutzrechtliche und wirtschaftliche Fragen auf.
Mit dem digitalen Euro könnte ein europäisch kontrolliertes Zahlungssystem geschaffen werden, das ohne kommerzielle Intermediäre auskommt und somit ein Stück digitale Souveränität zurückbringt. Dies würde insbesondere im grenzüberschreitenden Handel, im E-Commerce und bei Innovationen im Finanzdienstleistungsbereich neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen.
3. Zahlungen auch ohne Internetzugang – durch Offline-Funktionalität
Ein weiterer Vorteil des digitalen Euro liegt in der geplanten Offline-Verfügbarkeit. Während heutige elektronische Zahlungsmittel (z. B. Online-Banking, Mobile Payment, Kartenzahlungen) zwingend eine Internetverbindung oder Netzabdeckung voraussetzen, soll der digitale Euro auch in Offline-Situationen nutzbar sein – beispielsweise über Near-Field-Communication (NFC) oder sichere Hardware-Wallets.
Diese Funktionalität würde insbesondere in Krisensituationen, in Regionen mit schlechter Netzabdeckung oder im Alltag (z. B. bei kleineren Zahlungen im Einzelhandel oder im ländlichen Raum) Zahlungssicherheit und Resilienz gewährleisten – vergleichbar mit Bargeld, aber in digitaler Form.
Der digitale Euro bringt messbaren Nutzen
Auf der Basis dieser Vorteile habe die verschiedenen Akteure – aufgrund des potenziellen Strukturwandels im Zahlungsverkehr – auch bestimmte Nutzenaspekte, auf die näher einzugehen ist.
1. Nutzen für Banken: Effizienz und Stabilität im Zahlungsverkehr
Für Geschäftsbanken bietet der digitale Euro die Möglichkeit, ihre Zahlungsabwicklung deutlich effizienter zu gestalten. Durch den Einsatz von Instant-Payment-Technologien und der Reduktion von Intermediären können Echtzeitzahlungen direkt zwischen Kunden abgewickelt werden. Das reduziert sowohl die Abwicklungsdauer als auch die Kosten, die heute durch zwischengeschaltete Zahlungsdienstleister oder Clearinghäuser entstehen.
Darüber hinaus stärkt der digitale Euro die Resilienz der Finanzinfrastruktur. In Krisenzeiten – etwa bei systemischen Risiken oder Unsicherheiten gegenüber Geschäftsbanken – kann der digitale Euro als sicherer Wertaufbewahrungsmechanismus dienen. Durch zentrale Vorgaben wie Halte- und Transaktionslimits können dabei gleichzeitig Bank-Runs abgemildert und die Stabilität des Finanzsystems gewahrt werden.
2. Nutzen für Händler: Direkte Zahlungen mit geringeren Kosten
Auch für Händler ergeben sich durch den digitalen Euro konkrete wirtschaftliche Vorteile. Heute sind Kartenzahlungen und digitale Bezahlvorgänge häufig mit hohen Transaktionsgebühren verbunden, die von Zahlungsdienstleistern wie Visa oder Mastercard erhoben werden. Der digitale Euro könnte es ermöglichen, Zahlungen direkt und ohne kostspielige Intermediäre abzuwickeln.
Zudem würde der digitale Euro eine schnellere Verfügbarkeit der Gelder bieten. Anstatt auf mehrtägige Abrechnungszyklen warten zu müssen, hätten Händler sofortigen Zugriff auf die erhaltenen Zahlungen. Das verbessert die Liquiditätsplanung und reduziert das Risiko von Zahlungsausfällen.
Auch die Datensicherheit im Zahlungsverkehr wird erhöht: Bei Zahlungen mit dem digitalen Euro müssen keine Kreditkartendaten oder sensiblen Bankinformationen mehr übertragen werden. Dies reduziert das Betrugsrisiko erheblich und erhöht das Vertrauen in den digitalen Zahlungsverkehr.
3. Nutzen für Privatpersonen: Inklusiv, sicher und souverän
Für Bürgerinnen und Bürger bringt der digitale Euro sowohl finanzielle Inklusion als auch Sicherheit. So könnten Zahlungen künftig auch ohne Bankkonto erfolgen – etwa über staatlich anerkannte Wallets oder sichere Hardwarelösungen. Damit würde insbesondere für unterversorgte Gruppen der Zugang zum digitalen Zahlungsverkehr erleichtert.
Ein besonderer Mehrwert ergibt sich durch den Datenschutz: Während heutige digitale Zahlungen oft eine Nachverfolgbarkeit aufweisen, könnte der digitale Euro insbesondere im Offline-Modus pseudonyme Zahlungen ermöglichen – vergleichbar mit Bargeld, aber in digitaler Form.
Zudem bietet der digitale Euro ein hohes Maß an Krisensicherheit. Selbst im Fall einer Bankeninsolvenz bleibt der digitale Euro als direkte Verbindlichkeit der Zentralbank vollwertig und sicher. Damit kann er auch in Ausnahmesituationen ein verlässliches Zahlungsmittel darstellen.
Der digitale Euro ist mehr als nur eine neue Zahlungsform – er stellt eine umfassende Infrastrukturinnovation dar, die unterschiedlichen Akteuren maßgeschneiderte Vorteile bietet: Effizienz für Banken, Wirtschaftlichkeit und Sicherheit für Händler, sowie Stabilität und Teilhabe für Bürger. Als europäisch reguliertes und öffentlich bereitgestelltes Zahlungsmittel kann der digitale Euro einen entscheidenden Beitrag zu einem resilienteren und souveräneren Finanzsystem leisten.
Der nächste Artikel befasst sich mit den konkreten Inhalten des Rulebooks und den Handlungsempfehlungen, die sich aus den bisher bekannten beschriebenen Standards, technischen Vorgaben und Anwendungsfällen ergeben.
[1] Source: https://www.ecb.europa.eu/euro/digital_euro/html/index.en.html
[2] Source: https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/Report_on_a_digital_euro~4d7268b458.en.pdf
[3] Source: Whitepaper EY, Der digitale Euro kommt!, 2024.
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